Scheinanonymisierung

In der Berichterstattung um einen Prozess wegen Drogenhandels wird der Verurteilte mit Foto abgedruckt. Die Augenpartie ist dabei unkenntlich gemacht, der Pressekodex des deutschen Presserates jedoch schreibt vor: „Soweit eine Anonymisierung
geboten ist, muss sie wirksam sein.“ (Ziffer 8).

Die Anonymisierung der HNA ist unwirksam, da der Verurteilte im Gesicht markante Elemente von Körperkunst aufweist:

Drogen_im_Schokoriegel

Schwarzer Augenbalken von der HNA, gelbe Unkenntlichmachung von uns.

Immerhin hat die HNA erkannt, dass eine identifizierende Berichterstattung unverhältnismäßig und eine Anonymisierung geboten ist, nur an der Umsetzung hapert es.

Gefunden hier:
Schwälmer Allgemeine vom 27. Februar 2013, Seite 9: Drogen im Schokoriegel
Solange HNA.de das Foto nicht entschärft hat, verzichten wir darauf den Online-Artikel zu verlinken.

Nachtrag (11:30 Uhr): Nachdem ich die Lokal- und Onlineredaktionen angeschrieben habe, wurde gegen 10:30 Uhr „nachgebessert„.

Sex-Täter, Pädophiler oder Sexualstraftäter?

Im Oberaulaer Ortsteil Wahlshausen wohnt ein Sex-Täter, Pädophiler entlassener Sexualstraftäter. Ein heikles, weil sehr emotionales Medienthema. Daher kommentierte die berichtende HNA-Redakteurin am Freitag unter der Überschrift „Keine Hetzjagd“:

Dennoch sollten gerade die Erwachsenen besonnnen [sic!] bleiben. Eine sachliche Betrachtung ist angebracht.

Mit der Forderung nach „sachlicher Betrachtung“ hat die HNA die Latte hoch gelegt. Und gleich im ersten Artikel wieder gerissen. Die Überschrift lautet:

PädophilEin „Pädophiler Straftäter“? Mutig, dies zu behaupten, wenn gleich im selbigen Artikel steht: „Der HNA liegen keine Informationen vor, welche Vergehen der Mann begangen hat.“ Pädophil(ie) ist keine Floskel für die Medienberichterstattung, sondern ein Fachterminus. Spekulation über Pädophile (oder Hebephilie) sollten kein Inhalt einer sachlichen Betrachtung sein. „Psychologische“ Ferndiagnosen der HNA-Redaktion sind schlicht unsachlich. Sextäter

In der weiteren Berichterstattung lässt die Wortwahl „Sex-Täter“ die angekündigte sachliche Betrachtung vermissen. Sex ist ein positiv besetzter Ausdruck. Die Wortwahl „Sex-Täter“ vernachlässigt den Aspekt der Gewalt und des Zwanges, wie Christiane Pütter mit Unterstützung der Sprachwissenschaftlerin Luise Pusch feststellt:

Es ist ein zählebiges Missverständnis, dass Vergewaltigung und sexueller Missbrauch eine Form von Sex seien. Faktisch haben sie nichts mit Sex zu tun, sondern einzig mit Gewalt. […] Wenn die Medien aus einem Vergewaltiger einen „Sex-Täter“ machen, blenden sie den Aspekt der Gewalt aus, den das korrekte Wort „Vergewaltigung“ benennt. Luise Pusch zieht das Fazit: „Das Wort Sex hat in seriöser Berichterstattung über sexuelle Gewalt nichts zu suchen.“

Heft 5 – 6/2003 [PDF] der Zeitschrift des Bundesvereins zur Prävention von sexuellem Mißbrauch

Die punktierte Zusammenfassung:

„Vergewaltigung ist nicht Sex, denn wenn dir einer mit der Bratpfanne eins überzieht, würdest du das auch nicht als Kochen bezeichnen.“

Die Verwendung des Wortes „Sex-Täter“ ist also unangemessen, und doch in den Medien sehr beliebt. Die HNA hat den „Sex-Täter“ dann schnell durch den Sexualstraftäter ersetzt. Klingt schon etwas langweilig, ist aber – wie häufig im (Straf-)Recht – ein sachlicher Terminus. Nicht verharmlosend wie „Sex-Täter“ und nicht skandalisierend wie „Kinderschänder“.

Hier die Artikel im Überblick:

  • 12.07: Pädophiler Straftäter lebt in Spielplatznähe + Kommentar
  • 12.07Oberaula: Sexualstraftäter soll integriert werden
  • 12.07 (Hersfelder Zeitung)Ehemaliger Sextäter soll integriert werden
  • 13.07 (Kreis Anzeiger)Wegen veränderter Rechtsgrundlage freigelassen: Rückfallgefährdeter Sexualstraftäter lebt nun in Oberaula
  • 16.07Angespannte Stimmung in Wahlshausen: Infoabend zu Sexualstraftäter
  • 12.07 (Hessischer Rundfunk): Pädophiler Straftäter lebt neben Spielplatz (mit Erwähnung des „Sex-Täters“)

Kassel und die Täler der Ahnungslosen

Wahlkrimi in der Niedersachsen: SPD und Grüne (46,3 %) haben nun doch im Landtag einen Sitz mehr als CDU und FDP (45,9%). Was erfährt der HNA-Leser? Naja, da gibt es Kassel:

HNA_KS

Und dann noch die Täler der Ahnungslosen:

HNA_Fri-HomGleiche Überschrift bei:

  • Hersfelder Zeitung

HNA_MelGleiche Überschrift bei:

  • Mündener Allgemeine
  • Rotenburg-Bebraer
  • Sollinger-Allgemeine
  • Witzenhäuser Allgemeine

HNA_HofGleiche Überschrift bei:

  • Waldeckische Allgemeine
  • Wolfhagener Allgemeine

HNA_Schw

Der gute Redaktionsschluss macht’s möglich.