Wird in der deutschen Medienlandschaft negativ über die nordhessische Region berichtet, ist ein Gegenschlag der HNA nicht weit. Als hätte es die einheimische Bevölkerung nötig, so ihr kollektives Selbstbewusstsein aufzurichten.
Beispiel 1: Findet der Flughafen Kassel-Calden bei der RTL-Sendung „Wer wird Millionär“ Erwähnung, wird Günther Jauch in einem HNA-Artikel für seine Kommentare als Lästerer abgewatscht. Jauchs „Lästerei“ im O-Ton: „Der wurde nicht abgeschafft, sondern eröffnet – obwohl ihn keine Sau braucht!“. In diesem Sinne haben FAZ, Welt und Sueddeutsche wohl auch nicht journalistisch gearbeitet, sondern sich eines Sakrilegs schuldig gemacht.
Beispiel 2: Der Spiegel berichtet – in durchaus fragwürdiger Art und Weise – über konsumkritische Studenten. Und erzürnt das Gemüt der HNA durch die negative Darstellung der Stadt Witzenhausen. Statt kritisch auf die Berichterstattung einzugehen, holt die HNA mit einer Glosse zum Autoren-Bashing aus. Der Autor wird als aroganter Großstädter karikiert, der alles Provinzallisches hasst:
Ein Mann steigt aus: Hornbrille, grauer Mantel, roter Schal, wirres Haar. „Ich bin Boris Breyer – Spiegel-Redakteur“, ruft er den Wartenden am Bahnsteig zu. Niemand reagiert. „Aus Berlin“, fügt er hinzu. Stille. Er wirft den roten Schal über die Schulter und verschwindet Richtung Innenstadt. […] Er bleibt mit der Schuhspitze im historischen Kopfsteinpflaster hängen, stolpert, fällt hin: […] Dem Mann fließt Blut aus einer klaffenden Stirnwunde. Als Passanten ihm aufhelfen wollen, ruft er: „Scheiß Provinz, scheiß Auftrag.“
Eine HNA-Reaktion auf den Spiegel-Artikel hätte durchaus Potenzial gehabt.
- Bei HNA-Online steht, der Spiegel behaupte: „Nordhessen ist arm und strukturschwach.“ Der Spiegel skiziiert aber nicht Nordhessen sondern die Witzenhäusener Gegend als strukturschwach. Hier gäbe es die Möglichkeit das „(Zerr)Bild des ehemaligen Zonenrandgebietes“ zu hinterfragen. Wie der Spiegel schreibt liegt die Arbeitslosequote „mit 6,3 Prozent über hessischem Durchschnitt“. Das klingt überdurchschnittlich schlecht, die hessische Arbeitslosenquote ist mit 6,1 Prozent aber gar nicht so weit entfernt. Der Bundesdurchschnitt mit aktuell 7,1 Prozent hingegen schon, Witzenhausen ist also überdurchschnittlich gut.
- Vielleicht mag der Zug des Spiegel-Redakteurs etwas zu spät angekommen sein, aber der Witzenhäuser Bahnhof wurde erst 2008 umfassend modernisiert. Der Bahnhof ist barrierefrei im Gegensatz zu anderen deutschen Städten.
- Ist eine 15500-Einwohner-Stadt strukturschwach, wenn eine große deutsche Universität mit über 20 000 Studierenden hier eine Nebenstelle unterhält?
- Seit 20 Jahren schließt der städtische Haushalt von Witzenhausen wohl erstmals mit einem Überschuss. Bei notorisch klammen Kommunen land- auf landab, ist die Stadt Witzenhausen wohl auch nicht besonders strukturschwach.
Selbst die Glosse ist schlecht recherchiert. Warum sollte Breyer behaupten er käme aus Berlin? Der Spiegel sitzt in Hamburg, dort wurde Breyer 1978 geboren. Aktuell wohnt er in Hamburg und ist laut Facebook aus München (dort ist er aufgewachsen und hat auch dort studiert).
Gefunden hier:
HNA-Online vom 26. Mai 2013: Glosse: Irrungen in der Provinz – ein Spiegelredakteur in Witzenhausen