Abgründe aus der Welt der kostenlosen Anzeigenblättchen offenbart ein Streit vor dem Arbeitsgericht Kassel. In Nordhessen erscheinen mittwochs und sonntags diverse Lokalausgaben der Anzeigenblättchen von 5 Verlagen der ExtraTIP-Mediengruppe, zusammen wird ein Online-Portal betrieben.
Wie die Gewerkschaft ver.di berichtet, sei der Redaktionsleiter aus Homberg/Efze* fristlos gekündigt worden, weil er über eine 1.-Mai-Demo berichtete. Stein des Anstoßes soll ein Foto gewesen sein, auf dem der Mindestlohn auch für Zeitungszusteller gefordert wurde. Bei verdi.de ist zu lesen:
Der Verlag beschäftige selbst Zeitungszusteller. Auf der verlagseigenen Homepage für deren Mindestlohn zu werben, hielte man für »grob illoyal«. Der Kläger solle mal nicht so tun, als arbeite er bei der FAZ: »Sie dürfen nicht schreiben, was Sie wollen, Sie dürfen nichts gegen Edeka und andere Großkunden schreiben«, so der Ippen-Anwalt.
Weiter heißt es an anderer Stelle:
Das Anzeigenblatt aus dem MB-Media Verlag gehört zur Extra Tip Mediengruppe mit Geschäftsführer Daniel Schöningh, Neffe des Zeitungsverlegers Dirk Ippen. Das Ippen-Imperium [die HNA gehört dazu, Anmerkung lk] mit seiner verschachtelten Unternehmensstruktur zählt zu den zehn größten Zeitungskonzernen in Deutschland und zeichnet sich dadurch aus, dass bei Tageszeitungen und Druckereien keine Tarifverträge anerkannt werden.
Gerne berichtet die Ippen-Presse über arbeitsrechtliche Streitigkeiten in Nordhessen. Nur der vorliegende Fall taucht aus unerfindlichen Gründen nicht in der Berichterstattung auf. „Pressefreiheit ist die Freiheit von zweihundert reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten. Frei ist, wer reich ist. Das Verhängnis besteht darin, daß die Besitzer der Zeitungen den Redakteuren immer weniger Freiheit lassen, daß sie ihnen immer mehr ihren Willen aufzwingen.“ schrieb Paul Sethe 1965.
Wir bemühen uns um eine Grafik zur nordhessischen Medienlandschaft, um die Unternehmensstruktur offenzulegen und hoffen diese demnächst hier veröffentlichen zu können.
Gefunden hier, dank Hinweisgeberin:
verdi.de vom 12. August: Pressefreiheit in Witzenhausen ein Witz
verdi.de (ohne Datum): Was bei Verleger Ippen als »grob illoyal« gilt
* Zuerst stand hier fälschlicherweise Witzenhausen, wo der Verlag (MB Media) seinen Sitz hat.
Siehe jetzt auch Bildblog vom 22.8..
Wes Brot ich ess‘
dess Lied ich sing‘
Hier ein Auszug meines Kommentars auf HNA-Online, der erstaunlicherweise noch steht und auch dieses Thema aufgreift, zum Artikel
„Gewerkschaft vermutet Schikane von Betriebsrat von Pentahotel“
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Wie sehr die Medien bereits auf kleiner lokaler Ebene die Meinungen lenken, sich scheinbar entrüsten, wenn es um Ausbeutung und schlechte Arbeitsbedingungen geht und doch selbst vollkommen undemokratische Strukturen im eigenen Betrieb aufweisen, zeigt auch der Ippen-Konzern, dem z.B. HNA und Extra-Tipp angehören. Ein Redakteur, der unbedacht bei einer Demonstration gegen ungerechte Löhne ein Bild einstellte, auf dem neben anderen auch Mitarbeiter der Druckindustrie demonstrierten wurde gnadenlos gefeuert. Meinungsfreiheit ja – aber nur da, wo es die Konzernleitung haben möchte. Entrüstung ja – aber doch nicht im eigenen Haus. Bessere Bezahlung ja – aber nicht mit und bei uns. Da macht man ein Geschäft mit der Meinungsfreiheit und übt diktatorische Mittel im eigenen Hause aus.
Warum wohl werden z.B. hier auf HNA.de die radikalen Kommentare erschreckend oft zugelassen, die sachlich-kritischen aber immer wieder gelöscht? Auch das ist eine Form von medialer Lenkung, um die eigene Haltung nicht selbst ausdrücken zu müssen, man lässt „meinen“. Die Artikel bedienen in ihrer Auswahl, Häufung und Formulierung schon das gewollt kommentierende Klientel. Vielleicht mein Kommentar auch, wenn er überhaupt stehen bleibt.
Wieso darf man nichts gegen Großkunden schreiben? Wir sind ein freies Land.