Deckung, die Decke!

Manchmal fällt der Redaktion die Decke auf den Kopf, denn Lokaljournalismus ist nicht immer spannend. Abhilfe schaffen reißerische Schlagzeilen, so wie:

Decke im Rotenburger Kindergarten St. Georg eingestürzt

Wer jetzt Bilder von zerborstenen Betonstücken im Kopf hat, wird enttäuscht. Was HNA.de meint, zeigt die Bebilderung: Verkleidungsplatten einer abgehängten Leichtbaudecke sind heruntergefallen. Solche Verkleidungsplatten kennen Sie vielleicht aus der Schulzeit: Eine mit dem Besenstil hochgehoben und das Klassenbuch auf eine andere Platte gelegt, schon hatte sich das Problem mit den unentschuldigten Fehltagen erledigt.

Nach Leserkritik wurde die unsachliche Überschrift geändert, jetzt lautet der Titel: Teile der Decke in Rotenburger Kindergarten St. Georg eingestürzt

Fast hätte ich an dieser Stelle die Redaktion gelobt. Aber du sollst den Morgen nicht vor dem Abend die Online-Ausgabe nicht vor der Drucklegung loben:

Deckeneinsturz

Deckeneinsturz? Seite 1 der Hersfelder Zeit mit Text-Bild-Schere

Mit Dank an den Hinweisgeber; Gefunden hier:
Hersfelder Zeitung vom 20.02.2014, Seite 1: Im Kindergarten stürzt die Decke ein
HNA.de vom 19.02.2014: Teile der Decke in Rotenburger Kindergarten St. Georg eingestürzt

Multifunktionszeitung

Die gedruckten HNA-Ausgaben sind vielseitig einsetzbare Produkte der norhessischen Lokalzeitung. Während andere Regionalzeitungen Ladenhüter sind, sind die druckfrischen HNA-Expemplare in Teilen Nordhessens heiß begehrt. In „Rotenburger“ (laut HNA) wurde einem Zusteller der Zustellwagen geklaut. Der oder die Täter hatten mit den entwendeten Zeitungen ein Auto „geschmückt“. Laut HNA hafteten die Zeitungen gut auf dem regennassen Fahrzeug. Dieses Kreativ-Verbrechen, das Nordhessen erschütterte, schaffte es natürlich in die Zeitung.

Schmierpapier, Toilettenpapier, Geschenkpapier, Füllmaterial für nasse Schuhe oder Lückenfüller im Paket und vieles mehr: Das kann alles nur die gedruckte HNA. E-Papers sind etwas unnützer.

Gefunden hier:

HNA.de vom 26. September 2013: Vandalen dekorieren Auto mit gestohlenen Zeitungen

Endgültiges Urteil

Die Berichterstattung und den Abdruck des Interviews mit Armin Meiwes haben wir auf Lokalzeitungskritik positiv kommentiert. Lokalzeitungskritik.de wäre aber nicht Lokalzeitungskritik.de, wenn wir nicht doch etwas zum mäkeln hätten. Die Chronik (links neben dem Interview mit Meiwes) ist mit den Worten überschrieben: „Im Frühjahr 2001 hat Armin Meiwes sein Opfer getötet. Vom Prozessauftakt bis zum endgültigen Urteil dauerte es drei Jahre.“ Der Zeitstrahl beginnt mit dem Tattag (09. März 2001) und endet mit: „9. Mai 2006: Das Urteil: Lebenslang wegen Mordes. (tho)„.

Das endgültige (also rechtskräftige) Urteil erfolgte aber erst am 07. Februar 2007 als die Revision vor dem Karlsruher Bundesgerichtshof scheiterte. Das Urteil vom 09. Mai 2006 wurde erst jetzt rechtskräftig.

Gefunden hier:
HNA vom 26. Juli 2013, Seite 6: Zehn Jahre nach Prozessbeginn: Ein Gespräch mit Armin Meiwes

Kommentar zur Berichterstattung über Armin Meiwes

Das in der HNA veröffentlichte Interview mit dem „Kannibalen von Rotenburg“ (Ortsteil Wüstefeld) Armin Meiwes sorgt in der Leserschaft für Furore. Von der Tat (März 2001) bis zum rechtskräftigen Urteil (Februar 2007) sind sechs Jahre vergangen. Sechs Jahre, in denen Meiwes überwiegend als „Kannibale von Rotenburg“ charakterisiert wurde und bei vielen Menschen in Schubladen landete, die mit Etiketten wie „pervers„, „abnormal“ und „abartig“ versehen sind. Das medial transportierte Bild vom Täter ist flach. Genauso flach ist auch die Reaktion einiger HNA-Leser auf Meiwes: „Lebenslang einschließen und Schlüsselweg wegschmeißen.

Obwohl Meiwes eine lebenslängliche Haftstrafe absitzt, wird er eines Tages entlassen werden. Es ist also nur richtig, dass Nordhessens Leitmedium die Öffentlichkeit über diesen Umstand unterrichtet. Denn das Ziel des Justizvollzuges ist im besonderen Maße die Resozialisierung des Täters. Zu diesem Vollzugsziel trägt die HNA ihren Teil bei. Mit dem Interview wird dem Leser die Möglichkeit gegeben das bisherige Bild von Meiwes zu reflektieren und vielleicht sogar zu revidieren.

Im Interview wird ein Mann skizziert, der mindestens 15 Jahre seines Lebens durch Haft verliert. Ein Mann, der arbeitet (Wäscherei), sozial (Arbeitsgruppen) und politisch (Grüne) aktiv ist, im Kirchenchor singt, der auch Wünsche (Klavier lernen) und eine Lebensgefährtin hat. Kurzum das Bild eines ziemlich „normalen“ Menschen. Dieses neue Bild des „Kannibalen von Rotenburg“ mag zwar nicht jedem Leser in den Kram passen, aber das Interview geht völlig in Ordnung. HNA-Chefredakteur Horst Seidenfaden kann ich voll und ganz beipflichten, wenn er schreibt: „So aber ist es ein Beitrag, der sicher polarisiert, aber aus meiner Sicht wegen der handwerklichen Korrektheit mehr als seriös ist.“